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Einbrecher im Berliner Umland - Warum Einbruchsopfer am Rechtsstaat zweifeln

Nach einem Wohnungseinbruch in Dahme-Spreewald verfügt ein Richter, dass die mutmaßlichen Täter aus der U-Haft entlassen werden. Er hält es nicht für verhältnismäßig, die Männer hinter Gittern zu lassen. Die tauchen, kaum in Freiheit, unter. Die Einbruchsopfer zweifeln am Rechtsstaat und schreiben an den Ministerpräsidenten.

Zeuthen. Der Stein liegt noch im Garten. Wie ein Mahnmal. Detlef Gradl-Schneider streckt den Finger aus. „Da, der mit der Schramme.“ Vor einem knappen Jahr diente der gut faustgroße Stein als Einbruchswerkzeug. Gradl-Schneider steigt die Böschung zu seinem Haus hinunter. „Hier durch das Kellerfenster sind sie rein, Stein in die Scheibe, muss alles wahnsinnig schnell gegangen sein.“ Gradl-Schneider hat die Nacht vom 4. zum 5. April 2016 in bleibender Erinnerung.

Der 60-Jährige ist Bauingenieur, er wohnt mit seiner Familie in Zeuthen (Dahme-Spreewald). Die Gemeinde am südlichen Berliner Stadtrand boomt. Zur Wende zählte sie knapp 8000 Einwohner, heute sind es über 11.000. In den Eigenheimsiedlungen gibt es kaum noch Baulücken. Lage und Struktur haben auch Zeuthen ins Visier von Einbrechern gerückt. Dichter Baumbestand zwischen schmalen Anliegerstraßen schafft den unliebsamen Gästen Deckung, die Autobahn ist nahe und die Großstadt als Rückzugsgebiet in Minuten zu erreichen.

Der Waldboden schluckt Schritte der Einbrecher

Gradl-Schneiders Haus liegt an einer abschüssigen Straße, die am Wald endet. Zwei große Tannen schirmen den soliden Bau aus den 1930er-Jahren ab. Holzzaun, Hecke, eine verschlossene Gartenpforte zur Haustür hin, weiter oben eine Einfahrt mit Tor – alles kein Hindernis für die beiden Männer, die sich an jenem Aprilabend nähern. Es sind – wie sich später herausstellen sollte – Vladimir B. und Bogdan B., 24 und 34 Jahre alt, aus Moldawien stammend. Der Waldboden schluckt ihre Schritte, nur an einer sandigen Stelle bleibt ein Schuhabdruck zurück, der noch in der Nacht entscheidende Hinweise liefert.

„Ich war zeitig ins Bett gegangen“, sagt Gradl-Schneider. Nach langen Arbeitstagen schläft er gelegentlich in einem kleinen Zimmer im Keller. „Da hab’ ich meine Ruhe.“ Ruhe findet er aber nicht an diesem Abend. Gegen 22.30 Uhr wird er durch Krach geweckt. Schlaftrunken verdächtigt Gradl-Schneider seine Frau, mit der Waschmaschine zu hantieren, da wird die Tür aufgerissen und der Strahl einer Taschenlampe blendet ihn. Vom Hausherrn angesprochen hält der Lampenträger inne und ergreift dann, ohne an Diebesgut zu gelangen, die Flucht. Wieder Lärm, Glas splittert.

Acht Wochen nach der Tat werden die Verdächtigen freigelassen

Gradl-Schneider hastet die Treppe hinauf zu Frau, Tochter und Sohn. „Wir hatten eine Heidenangst, haben uns verbarrikadiert und die Polizei gerufen.“ Gleich zwei Streifenwagen mit vier Beamten stehen bereits zwölf Minuten später vorm Haus – Grund für das Aufgebot: Die Ordnungshüter sind wegen Serieneinbrüchen in der Gegend unterwegs. Wenig später die Meldung: Zwei Verdächtige wurden in der Nähe gestellt. Die Spurensicherung kann den Schuhabdruck einem von ihnen zuordnen. Später wird ein Labor feststellen, dass das Blut am zerbrochenen Kellerfenster von Vladimir B. stammt. Aber allein der Ermittlungsstand der Tatnacht reicht aus, um die Männer in Untersuchungshaft zu nehmen.

Das sieht auch Richter Matthias Deller so. Der Leiter des Amtsgerichts Königs Wusterhausen erlässt bereits am nächsten Tag, dem 5. April, gegen die mutmaßlichen Einbrecher Haftbefehl wegen versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls. „Das war gerechtfertigt. Beiden drohte eine erhebliche Strafe, und es bestand Fluchtgefahr“, sagt Deller heute. Acht Wochen nach der Tat, Ende Mai, wendet sich das Blatt. Die Verteidiger haben Haftprüfung beantragt. Der nun zuständige Amtsrichter Michael Uecker setzt die Haftbefehle außer Vollzug. Begründung: Vladimir B. und Bogdan B. haben in Deutschland keine Vorstrafen, sie sind legal im Land und besitzen Adressen in Berlin. Angesichts dessen sei mit einer Bewährungsstrafe zu rechnen. Die Moldawier werden gegen Meldeauflagen auf freien Fuß gesetzt.

Die maximale U-Haft-Dauer beträgt sechs, in Ausnahmefällen zwölf Monate

„Der Kollege hat korrekt gehandelt, denn im Zuge der Ermittlungen gab es nichts, was die Verdächtigen zusätzlich belastet hätte“, verteidigt Gerichtsdirektor Deller das Vorgehen von Uecker. Er räumt jedoch ein, dass auch eine gegenteilige Entscheidung möglich gewesen sei, das aber liege allein im Ermessen des Richters. „Klar ist, dass die Untersuchungshaft nicht die tatsächliche Strafe vorwegnehmen darf, auch wenn sich mancher das wünscht.“ Die maximale U-Haft-Dauer beträgt sechs, in Ausnahmefällen zwölf Monate. „Wir machen den Inhalt von Entscheidungen nicht davon abhängig, ob uns die Öffentlichkeit Beifall klatscht“, sagt Deller. In einem Rechtsstaat würden Ausländer nicht schlechter behandelt als Einheimische.

Die Fahnder der gemeinsamen Berlin-Brandenburger Ermittlungsgruppe, die seit zehn Jahren Einbrecher jagt, hat es zumeist mit gut organisierten ausländischen Banden zu tun. Ihre Mitglieder stammen überwiegend aus Ost- und Südeuropa. „Die Täter sind abgebrüht, kundschaften die Gegend vorher aus“, sagt Soko-Chef Thomas Latzo. Gestohlen wird, was sich leicht transportieren lässt: Mobiltelefone, Laptops, Schmuck und Geld. Die Soko hat seit ihrer Gründung 2005 mehr als 2700 Fälle bearbeitet.

Einbrecher nutzen Tarn-Adressen in Berlin, um unterzutauchen

Von Raubzügen besonders häufig betroffen sind laut märkischer Kriminalstatistik unter anderem Kleinmachnow, Teltow, Potsdam-Eiche, Werder (Havel), Falkensee, Bernau und Königs Wusterhausen. Als einer der größten Erfolge der Soko in jüngster Zeit gilt der Schlag gegen zwei albanische Banden, denen mehr als 180 Einbrüche im Berliner Umland zugeordnet werden konnten. Wechselnde Tarn-Adressen in Berlin dienen als zeitweiliger Unterschlupf und Zwischenlager für die Beute, so die Ermittler.

Detlef Gradl-Schneider bestellt Glaser, Schlosser und Elektriker. Er lässt für 5500 Euro stärkere Scheiben einsetzen, Fenstergitter und Bewegungsmelder anbringen. Aber die Angst der Familie hält an. „Noch heute lassen uns Geräusche zusammenzucken.“ Für den 21. Oktober 2016 ist die Hauptverhandlung gegen Vladimir B. und Bogdan B. vor dem Amtsgericht Königs Wusterhausen angesetzt. Am selben Tag trifft es in Zeuthen erneut ein Einfamilienhaus: Wertgegenstände verschwinden, Zimmer werden verwüstet – Schaden: 6000 Euro.

Prozess platzt, weil Angeklagte nicht erscheinen

Zeuge Gradl-Schneider erlebt im Gericht eine Überraschung, die ihn sprachlos macht. Das Verfahren könne nicht stattfinden, weil die Angeklagten nicht wie zugesichert erschienen seien, teilt Richter Uecker mit. Gradl-Schneider erfährt auch, dass die Männer bereits seit knapp fünf Monaten nicht mehr hinter Gittern seien, weil eine weitere Untersuchungshaft nicht zu vertreten gewesen sei. Die Haftbefehle seien nun aber wieder in Kraft und die Fahndung eingeleitet.

Gradl-Schneider versteht die Welt nicht mehr. „Da hat man die Täter und lässt sie wieder laufen. Die Ohnmacht der Justiz stärkt Parteien am rechten Rand.“ Der Ingenieur muss sich Luft machen und schreibt einen offenen Brief an Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). In ihrer Antwort versicherte die Staatskanzlei, dass man das Problem zur Kenntnis nehme. Eingriffe der Exekutive in die Unabhängigkeit der Justiz kämen aber aus verfassungsrechtlichen Erwägungen prinzipiell nicht in Betracht.

Die Fahndung nach den Moldawiern hat im November einen ersten Erfolg. Bogdan B. wird gefasst und noch vor Weihnachten in seine Heimat abgeschoben. Die Suche nach Vladimir B. hält weiter an.

Ein Jurist muss, rein statistisch, sieben Fälle pro Tag schaffen

Die Bundesregierung will Einbrecher härter bestrafen und den Paragraf 244 im Strafgesetzbuch ändern. Laut Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas (SPD) soll die Mindeststrafe auf sechs Monate erhöht und der minder schwere Fall des Wohnungseinbruchs abgeschafft werden. CDU und CSU geht das nicht weit genug. Sie wollen eine Untergrenze von einem Jahr, damit würde Wohnungseinbruch zum Verbrechen. Zudem soll die Telefonüberwachung auf potenzielle Einbrecherbanden ausgeweitet werden. Einigkeit gibt es noch nicht.

In Brandenburg findet die Strafverschärfung Zustimmung. „Bei Verbrechen kann die Polizei bessere Ermittlungsinstrumente nutzen, die Abschreckung wird erhöht“, sagt CDU-Rechtsexperte Danny Eichelbaum. „Härtere Strafen sind richtig, Einbrüche bedeuten massive Einschnitte in die Privatsphäre“, so Erik Stohn (SPD). Der Leitende Oberstaatsanwalt von Neuruppin, Wilfried Lehmann, sorgt sich vor allem um den Personalbestand bei den Strafverfolgern. Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaften müssten verstärkt werden, forderte Lehmann jüngst vom Land. In der Neuruppiner Anklagebehörde seien im Vorjahr 55.000 Verfahren angefallen. Ein Jurist müsse – rein statistisch – sieben Fälle pro Tag schaffen. „Für leichtere Delikte wie Diebstähle stehen nur 50 Minuten pro Akte zur Verfügung.“ Von Volkmar Krause

Quelle: Märkische Allgemeine Zeitung, 23.02.2017

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