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Verurteilt, aber auf freiem Fuß - Empörung nach der Haftentlassung von Ex-NPD-Politiker. Gericht argumentiert: Justiz ist zu langsam

Der ehemalige NPD-Politiker Maik Schneider ist wegen eines Brandanschlags auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft verur- teilt worden – und kommt doch aus dem Gefängnis. Das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg begründete die Freilassung aus der Untersuchungshaft am Donnerstag mit vermeidbaren Ver- zögerungen durch die Justiz, die sich auf mehr als sechs Monate summiert hätten. Die Entscheidung stieß auf Kritik – zumal erst kürzlich mit einer ähnlichen Begründung ein Mann das Gefängnis verlassen durfte.

Die oppositionelle CDU-Fraktion im Landtag sieht die Verantwortung für die Freilassung Schneiders bei der rot-roten Landesregierung und beantragte umge- hend eine Sondersitzung des Rechtsaus- schusses. „Erst Sexualstraftäter, dann ein Mörder und jetzt ein Rechtsextre- mist: In Brandenburg kommen Straftä- ter auf freien Fuß, weil die Justiz unter- besetzt ist“, sagte Fraktionschef Ingo Senftleben. „Richter und Staatsanwälte warnen seit Jahren, aber SPD und Linke sind untätig geblieben.“ Auch die Grünen bezweifelten die Arbeitsfähigkeit der Gerichte wegen fehlendem Personal und sprachen von einem „Tiefpunkt der Rechtsstaatlich- keit“. Und der Rechtsexperte der SPD- Fraktion, Erik Stohn, nannte die Ent- scheidung der OLG-Richter „unver- ständlich“. Die Diskussion soll kom- menden Dienstag in einer Sondersit- zung des Rechtsausschusses weiterge- führt werden, teilte die Ausschuss-vor- sitzende Margitta Mächtig am Donners- tagabend mit.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig

Der 31-jährige Schneider war im Februar 2017 wegen Brandstiftung an einer geplanten Asylunterkunft in Nauen (Landkreis Havelland) und anderer Delikte zu neuneinhalb Jahren Haft ver- urteilt worden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, weil Schneiders Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) erfolg- reich war.

Er war im März 2016 festgenommen worden und saß somit seit knapp drei Jahren in der Vollzugsanstalt Neurup- pin-Wulkow in Untersuchungshaft. Sein Anwalt Sven Oliver Milke hatte in sei- ner Haftbeschwerde beim OLG geltend gemacht, dass die Zustellung des ersten Urteils knapp sechs Monate gedauert hätte. Dadurch sei die Revision unver- hältnismäßig verzögert worden. Zudem monierte er eine schleppende Terminie- rung des Revisionsprozesses. Bis Mitte März sind in dem Verfahren noch sie- ben Verhandlungstage angesetzt.

„Die Entscheidung des OLG ist für mich nicht überraschend“, sagte Milke. Das Bundesverfassungsgericht habe Vorga- ben zur möglichen Dauer von Untersu- chungshaft gemacht. An diese habe sich das OLG im Gegensatz zum Landge- richt Potsdam gehalten. Das Landge- richt hatte Ende Dezember die Freilas- sung Schneiders abgelehnt. Dagegen hatte Milke beim OLG Beschwerde ein- gelegt.

Nach Angaben des Verteidigers sollte Schneider das Gefängnis noch am Don- nerstag verlassen. Der Haftbefehl gegen Schneider sei ohne Auflagen aufgeho- ben worden, betonte Milke. Sein Man- dant werde sich aber „selbstverständ- lich“ weiter dem Prozess stellen, der noch bis Mitte März laufen soll.

Das erste Urteil gegen Schneider war 2018 vom BGH aufgehoben worden. Seit Oktober läuft nun der Revisionspro- zess vor dem Landgericht Potsdam.

Beim nächsten Verhandlungstermin am 9. Januar soll der Richter Theodor Horstkötter, Vorsitzender im ersten Pro- zess in Potsdam, als Zeuge gehört wer- den. Er soll berichten, was Schneider damals ausgesagt hat. Der Ex-NPD- Politiker hatte in dem Prozess seine Beteiligung an der Brandstiftung einge- räumt. Zugleich hatte er aber erklärt, er habe die Turnhalle nicht abbrennen, sondern lediglich als Zeichen des Pro- tests einrußen wollen. Bereits Anfang Dezember hatte das OLG auf Antrag von Verteidiger Milke einen 64-Jähri- gen aus der Haft entlassen, der wegen der Ermordung seiner Ehefrau verurteilt worden war. Das Gericht begründete die Freilassung damals ebenfalls mit einer überlangen Verfahrensdauer. Derselbe Vorsitzende Richter hatte das Urteil ebenso erst nach einem halben Jahr zugestellt. Damals hatte Justizminister Stefan Ludwig (Linke) eingeräumt, dass die Gerichte wegen Personalabbaus hoch belastet seien. Auch im Jahr 2015 kamen zwei Sexualstraftäter auf freien Fuß, weil sich ihre Prozesse verzögert hatten.

Aus Sicht der Opposition im Branden- burger Landtag trägt die Landesregie- rung die Verantwortung für die Freilas- sung von Straftätern: Sie habe die Justiz nicht mit ausreichend Personal ausge- stattet. Nun müsse Justizminister Lud- wig zu den Missständen in der Justiz Stellung nehmen, forderte der CDU- Rechtsexperte Danny Eichelbaum. Auch Grünen-Fraktionschefin Ursula Nonnemacher erklärte, die Freilassung einer „Symbolfigur der rechtsextremen Szene“ werfe erneut Fragen zur Arbeits- fähigkeit der Gerichte auf.

Der SPD-Rechtsexperte Stohn reagierte irritiert auf die Freilassung von Schnei- der: „Ich finde die Entscheidung OLG zur Freilassung von Maik S. unverständlich.“ Er sei sehr gespannt auf die schriftliche Begründung der Ent- scheidung, die am 15. Januar vorliegen solle. „Von daher sehe ich kein Bedürf- nis für eine von der CDU-Fraktion bean- tragte Sondersitzung des Rechtsaus- schusses am 8. Januar, da zu diesem Zeitpunkt keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind“, so Stohn. Er verwies darauf, dass die Koalition im nächsten Doppelhaushalt 300 zusätzliche Stellen in der Justiz geschaffen habe.

Die Linke-Landtagsabgeordnete Andrea Johlige erklärte, es sei ihr unverständ- lich, welche Prioritäten das Landgericht in dem Verfahren gegen Schneider gesetzt habe. „Als Koalition haben wir auf die angespannte Lage in der Justiz reagiert und neue Richterstellen geschaffen“, sagte Johlige. „Jetzt sind alle Verfahrensbeteiligten gefordert, das Verfahren so schnell wie möglich zu beenden, um den Täter wieder aus dem Verkehr zu ziehen“, fügte sie hinzu. dpa

Quelle: Berliner Morgenpost, 04.01.2019